Oftmals ist im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen von sogenannten „minimal-invasiven Methoden“ die Rede. Zunehmend wird dieser Begriff verwendet, um die Chirurgie der Mitralklappe über einen seitlichen Zugang zwischen den Rippen von der konventionellen Methode über einen vorderen Zugang durch das Brustbein zu beschreiben. Ist das wirklich minimal-invasiv?
Was genau hat man sich darunter vorzustellen und was ist mit diesem Begriff überhaupt gemeint? Ich beschränke mich im Folgenden auf die Herzchirurgie.
Weniger invasive Herzchirurgie ist im Trend. Die objektiven Faktoren, welche die Invasivität, also den Schweregrad der Belastung des Organismus in der Herzchirurgie bestimmen, sind der chirurgische Zugang und die Verwendung der Herz-Lungenmaschine.
Durch die Art des chirurgischen Zugangs werden bestimmt: Das Ausmass des Traumas von Muskel-, Knochen- und Bindegewebe, die Länge und Sichtbarkeit des Hautschnitts, resp. der Narbe, die nötige Verformung des Brustkorbes, der Blutverlust, der Schweregrad von Schmerzen und Unwohlsein, das Risiko von Atemproblemen, die Menge an benötigten Anästhesie- und Schmerzmittel, das Risiko von schweren Wundkomplikationen (v.a. Infekte).
Der Einsatz der HLM ist potentiell belastend, geht er doch objektiv mit der massiven Beeinflussung des Gerinnungssystems, der Aktivierung von entzündlichen Prozessen im Organismus, speziell im Blut und in der Lunge, der Schädigung des Blutes und der massiven Störung des Wasserhaushaltes des Körpers einher, und beinhaltet immer ein Risiko tödlicher Komplikationen. Subjektiv können postoperativ vorübergehend Schlafstörungen, Albträume, Appetitlosigkeit, depressive Verstimmung, Sehstörungen, Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und höherer Hirnfunktionen und sexuelle Dysfunktion auftreten.
Es ist deshalb ohne weiteres verständlich, dass die Dauer des Einsatzes einer HLM direkt mit dem Risiko unerwünschter Effekte beim Patienten einhergeht. Grundsätzlich ist es demnach wünschenswert, den Einsatz der HLM so kurz wie möglich zu halten, oder falls möglich sogar ganz darauf zu verzichten. Ein Mittelweg bietet sich durch den Einsatz eines sogenannten „MECC“-Systems (Minimal Extra Corporeal Circulation), einer miniaturisierten HLM mit verkleinerten Komponenten und vermindertem Kontakt des Blutes zu Raumluft und Fremdoberflächen, was die sogenannte“Biokompatibilität“ nachweislich erhöht.
Ein weitere die Invasivität einer Herzoperation erhöhende Massnahme ist das Stilllegen des Herzens. Auch hier gilt, je kürzer, umso schonender, am besten aber am schlagenden Herzen.
Je nach geplantem Eingriff können demnach verschiedene Strategien erwogen werden: Operation am schlagenden Herzen ohne HLM (sog. „off-pump“), zB bei aortokoronarer Bypasschirurgie; Operation mit HLM am schlagenden, aber entlasteten Herzen („beating, but not working“);Operation mit HLM am stillgelegten Herzen; Operation mit miniaturisierter HLM (MECC).
Kann Invasivität gemessen werden? Deren Folgen ja. Wir wissen heute einiges über den Ablauf der Entzündungsreaktion im Körper, die durch die HLM ausgelöst wird. Verschiedene Entzündungseinweisse können im Blut gemessen und als Mass für die Invasivität herangezogen werden. Auch lassen sich im Blut erhöhte Werte bestimmter Stoffe messen in Abhängigkeit des Gewebetraumas.
Gibt es eine Graduierung oder Klassifizierung? Hugo Vanermen schlägt folgende Klassifizierung vor:
A. Off-pump aortokoronare Bypasschirurgie
B. Verkleinerte oder modifizierte Zugänge und Einsatz der HLM für verschiedene herzchirurgische Eingriffe
C. MIDCAB: Minimal-invasive aortokoronare Bypasschirurgie über kleine Schnitte Video-assistiert am schlagenden Herzen ohne HLM
D. Konsequent über kleinen Schnitte Video-assistiert mit HLM am stillgelegten Herzen für verschiedene Herzkrankheiten.
Betrachten wir die eingangs erwähnte Situation der Mitralchirurgie, dann wird klar, dass nur die konsequente Video-assistierte Methode über kleine Schnitte in Bezug auf den Zugang als weniger invasiv bezeichnet werden kann. Viele Chirurgen suggerieren dem Patienten genau diese Methode, operieren jedoch durch einen erweiterten Zugang zwischen den Rippen hindurch unter direkter Sicht. Die Vorteile eines begrenzten Zuganges werden damit aufgehoben und sogar schlechtere Ergebnisse erzielt als über einen vorderen Zugang. Allerdings muss auch gesagt sein, dass die konsequente Video-assistierte Methode ein gewisses Training und Geschick in der Hand-Augen-Koordination benötigt und häufig doch deutlich länger dauert. Wegen letzterem Umstand kann diese Methode denn auch nur als weniger invasiv bezeichnet werden. Der Begriff „minimal-invasiv“ ist in diesem Zusammenhang eindeutig irreführend! Denn wie oben erläutert ist ein längerer HLM-Einsatz invasiver und risikobehafteter als ein kürzerer.
Aufgrund dieser Vermengung verschiedener Methoden unter demselben missverständlichen Begriff der „minimal-invasiven“ Mitralchirurgie und der sehr unterschiedlichen methodischen Herangehensweise erstaunt es denn nicht, dass die wissenschaftlich analysierten Resultate in der Breite nicht berauschend sind, d.h. schwere Komplikationen (Tod, Hirnschlag, und Reoperationen) im allgemeinen häufiger sind als bei der konventionellen Methode, in ausgewählten Händen jedoch durchaus vergleichbar gute Resultate aufzuweisen hat.
Also keine Methode für jeden Chirurgen!
Hugo Vanermen war von 1980 bis 2010 Klinikdirektor am OLV Spital in Aalst, Belgien, wo er in den letzten 15 Jahren die Video-assistierte Mitralchirurgie entwickelt und perfektioniert hat. Mittlerweile hat er über 1500 Patienten mit dieser Methode erfolgreich behandelt. Er hat zudem im Jahr 2000 den belgischen König Albert II am Herzen operiert und bekam neben vielen internationalen Auszeichnungen 2006 den Ehrentitel eines Barons vom belgischen König Albert II verliehen.
2010 hat er seine Tätigkeit dort aufgegeben und arbeitete in den folgenden Jahren am Universitätsspital St-Luc UCLouvian, Brüssel, an der Universitätsklinik Leiden LUMC, Holland und am Institut Mutualiste Montsouris IMM in Paris. Durch seine Verbindungen zur Schweiz ist es gelungen, Hugo Vanermen für unser Herzchirurgenteam zu gewinnen. Ich habe zusammen mit ihm in der Klinik Im Park 2014-2016 regelmässig Patienten mittels Video-assistierter Methode an der Mitralklappe operiert.